German:
Beim UN-Sonderberichterstatter für Folter, Nils Melzer, sind mehr als hundert Hinweise zu Polizeigewalt bei den Berliner Corona-Demos eingegangen.
Berlin/Genf - Der Aufruf des UN-Sonderbeauftragten Nils Melzer hat zu mehr als hundert Hinweisen zu Polizeigewalt bei den Berliner Corona-Demonstrationen geführt, die sich aber oft mehrfach auf dieselben Fälle beziehen. Der UN-Beauftragte hat nun die Aufgabe, allfällige staatliche Gewaltexzesse und Polizei-Übergriffe zu prüfen, die Regierung über seine Schlussfolgerungen in Kenntnis zu setzen und zur Aufklärung sowie zur Ahndung und Wiedergutmachung von Regelverstößen aufzufordern.
Melzer sagte der Berliner Zeitung auf Anfrage, dass bei seinem Team eine sehr große Zahl an Berichten über Polizeigewalt gegen Demonstranten bei der Demo am Sonntag in Berlin eingegangen sei: „Wir werden jetzt das Material sichten und bewerten. Jede einzelne Mitteilung und jedes einzelne Video muss genau verifiziert werden und ich werde auch mit direkten Augenzeugen sprechen. Aber mein Eindruck ist, dass in mehreren Fällen Anlass genug für eine offizielle Intervention meinerseits bei der Bundesregierung besteht.“
Dazu wendet sich der UN-Beauftragte über die deutsche Vertretung bei den Vereinten Nationen in Genf an den Bundesaußenminister. Über das Auswärtige Amt muss dann die zuständige Behörde, im konkreten Fall der Berliner Innensenator, mit den Vorwürfen befasst werden und die staatsvertraglich verlangten Untersuchungen einleiten. Melzer ist „sehr besorgt über die Entwicklung von Polizeieinsätzen bei Demonstrationen weltweit“. Dies betreffe nicht nur Länder wie Hongkong, Belarus, Kolumbien und die USA mit der Gewalt gegen „Black Lives Matter“-Aktivisten, sondern leider eben auch die Corona-Demonstrationen in Europa. Melzer: „Da läuft etwas ganz Fundamentales schief. In allen Regionen der Welt betrachten die Behörden die eigene Bevölkerung offenbar zunehmend als Feind.“
In all diesen Kontexten sieht Melzer seine vorrangige Aufgabe nun in der Bearbeitung der konkreten Vorfälle: „Jeder einzelne Fall muss aufgeklärt werden, und zwar gründlich. Und jeder klare Regelverstoß von Polizisten muss scharfe Konsequenzen haben. Die politisch Verantwortlichen dürfen die Vorfälle keinesfalls auf die leichte Schulter nehmen.“ Auch Gewalt-Aktionen gegen Polizisten seien nicht hinnehmbar, es seien Straftaten, für die die Täter bestraft werden müssten. Melzer: „Vereinzelte Gewalt von Demonstranten darf aber keinesfalls der Rechtfertigung von Polizeigewalt gegen andere, nicht gewalttätige Demonstranten dienen.“ Melzer über die Demo in Berlin: „Von den Bildern und Informationen, die uns bis jetzt vorliegen, haben wir den Eindruck, dass es sich bei den Protesten mehrheitlich nicht um gewaltbereite Randalierer gehandelt hat. Es waren Frauen, Kinder, Radfahrer, ältere Leute.“
Melzer: „Wenn die Polizei nicht klar kommuniziert, dass sie sich als Freund und Helfer versteht, sondern die eigene Bevölkerung als Feind behandelt, dann ist eine gefährliche Spirale in Gang gesetzt: Dass nämlich als nächstes die Bevölkerung die Polizei ebenfalls als Feind betrachtet und am Ende die Regierung.“ Es sei die Verantwortung jeder Regierung, eine solche Entwicklung durch klare, de-eskalierende Kommunikation zu verhindern. Melzer: „Es ist darüber hinaus widersinnig, eine Demonstration mit dem Hinweis auf den Gesundheitsschutz aufzulösen, wenn dabei Demonstranten mit vollkommen willkürlicher Brutalität zusammengetrieben und verletzt werden.“
Melzer hält es für dringend notwendig, dass die Behörden und Polizei bewährte De-Eskalationsmethoden einsetze. Als vorbildliches Beispiel nennt er Stuttgart, wo Polizeichef Carsten Höfler im April bei Corona-Protesten erklärt habe, dass die Polizei niemals gegen friedliche Demonstranten Gewalt anwenden dürfe. Stuttgart hatte im Frühjahr 2020 darauf verzichtet, eine nicht genehmigte Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen gewaltsam aufzulösen.
English:
The UN special rapporteur on torture, Nils Melzer, received more than a hundred reports of police violence at the Berlin corona demos.
Berlin / Geneva - The appeal by the UN special envoy Nils Melzer led to more than a hundred reports of police violence at the Berlin Corona demonstrations, which, however, often refer to the same cases several times. The UN commissioner now has the task of examining any state excesses of violence and police attacks, informing the government of his conclusions and calling for clarification as well as punishment and reparation for rule violations.
On request, Melzer told the Berliner Zeitung that his team had received a very large number of reports of police violence against demonstrators at the demo on Sunday in Berlin: “We will now sift through and evaluate the material. Every single message and video needs to be carefully verified and I will also speak to direct eyewitnesses. But my impression is that in several cases there is reason enough for an official intervention on my part with the federal government. "
To this end, the UN commissioner turns to the Federal Foreign Minister through the German representation at the United Nations in Geneva. The responsible authority, in this specific case the Berlin Senator for the Interior, must then deal with the allegations through the Foreign Office and initiate the investigations required by the state treaty. Melzer is "very concerned about the development of police operations in demonstrations worldwide". This not only affects countries like Hong Kong, Belarus, Colombia and the USA with the violence against "Black Lives Matter" activists, but unfortunately also the Corona demonstrations in Europe. Melzer: “Something fundamental is going wrong. In all regions of the world, the authorities are apparently increasingly viewing their own people as an enemy. "
In all these contexts, Melzer now sees his primary task in dealing with specific incidents: “Every single case must be clarified, and thoroughly. And every clear rule violation by police officers must have severe consequences. The politically responsible must not take the incidents lightly. ”Violent actions against police officers are also unacceptable, they are crimes for which the perpetrators must be punished. Melzer: "However, isolated violence by demonstrators must in no way serve to justify police violence against other, non-violent demonstrators." The majority of the protests were not violent rioters. There were women, children, cyclists, older people. "
It is absolutely unacceptable when the police take action against defenseless demonstrators for mere administrative offenses or civil disobedience with sometimes life-threatening violence.
Nils Melzer
The police are obliged to "use proportionality in any case". Violence is only justified if a police officer or a third person is attacked directly, for example "if the authorities have to defend themselves against a masked thrower of Molotov cocktails". Melzer: "It is absolutely unacceptable when the police take action against defenseless demonstrators because of mere administrative offenses or civil disobedience with sometimes life-threatening violence." Melzer sees another problem: "The images of the demonstrations, as they are now spreading virally, are for themselves already taken a violent effect. "
Melzer: “If the police do not clearly communicate that they see themselves as friends and helpers, but rather treat their own population as an enemy, then a dangerous spiral has been set in motion: namely that the next thing is that the population will also regard the police as an enemy and on End the government. ”It is the responsibility of every government to prevent such a development through clear, de-escalating communication. Melzer: "It is also absurd to break up a demonstration with reference to health protection when demonstrators are rounded up and injured with completely arbitrary brutality."
Melzer believes it is imperative that the authorities and police use tried and tested de-escalation methods. He cites Stuttgart as an exemplary example, where police chief Carsten Höfler declared during corona protests in April that the police should never use force against peaceful demonstrators. In spring 2020, Stuttgart refrained from violently breaking up an unauthorized demonstration against the corona measures
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Beim UN-Sonderberichterstatter für Folter, Nils Melzer, sind mehr als hundert Hinweise zu Polizeigewalt bei den Berliner Corona-Demos eingegangen.
Berlin/Genf - Der Aufruf des UN-Sonderbeauftragten Nils Melzer hat zu mehr als hundert Hinweisen zu Polizeigewalt bei den Berliner Corona-Demonstrationen geführt, die sich aber oft mehrfach auf dieselben Fälle beziehen. Der UN-Beauftragte hat nun die Aufgabe, allfällige staatliche Gewaltexzesse und Polizei-Übergriffe zu prüfen, die Regierung über seine Schlussfolgerungen in Kenntnis zu setzen und zur Aufklärung sowie zur Ahndung und Wiedergutmachung von Regelverstößen aufzufordern.
Melzer sagte der Berliner Zeitung auf Anfrage, dass bei seinem Team eine sehr große Zahl an Berichten über Polizeigewalt gegen Demonstranten bei der Demo am Sonntag in Berlin eingegangen sei: „Wir werden jetzt das Material sichten und bewerten. Jede einzelne Mitteilung und jedes einzelne Video muss genau verifiziert werden und ich werde auch mit direkten Augenzeugen sprechen. Aber mein Eindruck ist, dass in mehreren Fällen Anlass genug für eine offizielle Intervention meinerseits bei der Bundesregierung besteht.“
Dazu wendet sich der UN-Beauftragte über die deutsche Vertretung bei den Vereinten Nationen in Genf an den Bundesaußenminister. Über das Auswärtige Amt muss dann die zuständige Behörde, im konkreten Fall der Berliner Innensenator, mit den Vorwürfen befasst werden und die staatsvertraglich verlangten Untersuchungen einleiten. Melzer ist „sehr besorgt über die Entwicklung von Polizeieinsätzen bei Demonstrationen weltweit“. Dies betreffe nicht nur Länder wie Hongkong, Belarus, Kolumbien und die USA mit der Gewalt gegen „Black Lives Matter“-Aktivisten, sondern leider eben auch die Corona-Demonstrationen in Europa. Melzer: „Da läuft etwas ganz Fundamentales schief. In allen Regionen der Welt betrachten die Behörden die eigene Bevölkerung offenbar zunehmend als Feind.“
In all diesen Kontexten sieht Melzer seine vorrangige Aufgabe nun in der Bearbeitung der konkreten Vorfälle: „Jeder einzelne Fall muss aufgeklärt werden, und zwar gründlich. Und jeder klare Regelverstoß von Polizisten muss scharfe Konsequenzen haben. Die politisch Verantwortlichen dürfen die Vorfälle keinesfalls auf die leichte Schulter nehmen.“ Auch Gewalt-Aktionen gegen Polizisten seien nicht hinnehmbar, es seien Straftaten, für die die Täter bestraft werden müssten. Melzer: „Vereinzelte Gewalt von Demonstranten darf aber keinesfalls der Rechtfertigung von Polizeigewalt gegen andere, nicht gewalttätige Demonstranten dienen.“ Melzer über die Demo in Berlin: „Von den Bildern und Informationen, die uns bis jetzt vorliegen, haben wir den Eindruck, dass es sich bei den Protesten mehrheitlich nicht um gewaltbereite Randalierer gehandelt hat. Es waren Frauen, Kinder, Radfahrer, ältere Leute.“
Die Polizei sei verpflichtet, „bei ihrem Einsatz auf jeden Fall Verhältnismäßigkeit walten zu lassen“. Gewalt sei lediglich gerechtfertigt, wenn ein Polizist oder eine Drittperson unmittelbar angegriffen werde, etwa, „wenn sich die Behörden gegen einen vermummten Werfer von Molotowcocktails wehren müssen“. Melzer: „Es ist absolut inakzeptabel, wenn die Polizei wegen bloßer Ordnungswidrigkeiten oder zivilem Ungehorsam mit teilweise lebensgefährlicher Gewalt gegen wehrlose Demonstranten vorgeht.“ Melzer sieht ein weiteres Problem: „Die Bilder von den Demonstrationen, wie sie sich jetzt viral verbreiten, haben für sich genommen bereits eine gewalttätige Wirkung.“Es ist absolut inakzeptabel, wenn die Polizei wegen bloßer Ordnungswidrigkeiten oder zivilem Ungehorsam mit teilweise lebensgefährlicher Gewalt gegen wehrlose Demonstranten vorgeht.
Nils Melzer
Melzer: „Wenn die Polizei nicht klar kommuniziert, dass sie sich als Freund und Helfer versteht, sondern die eigene Bevölkerung als Feind behandelt, dann ist eine gefährliche Spirale in Gang gesetzt: Dass nämlich als nächstes die Bevölkerung die Polizei ebenfalls als Feind betrachtet und am Ende die Regierung.“ Es sei die Verantwortung jeder Regierung, eine solche Entwicklung durch klare, de-eskalierende Kommunikation zu verhindern. Melzer: „Es ist darüber hinaus widersinnig, eine Demonstration mit dem Hinweis auf den Gesundheitsschutz aufzulösen, wenn dabei Demonstranten mit vollkommen willkürlicher Brutalität zusammengetrieben und verletzt werden.“
Melzer hält es für dringend notwendig, dass die Behörden und Polizei bewährte De-Eskalationsmethoden einsetze. Als vorbildliches Beispiel nennt er Stuttgart, wo Polizeichef Carsten Höfler im April bei Corona-Protesten erklärt habe, dass die Polizei niemals gegen friedliche Demonstranten Gewalt anwenden dürfe. Stuttgart hatte im Frühjahr 2020 darauf verzichtet, eine nicht genehmigte Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen gewaltsam aufzulösen.
English:
The UN special rapporteur on torture, Nils Melzer, received more than a hundred reports of police violence at the Berlin corona demos.
Berlin / Geneva - The appeal by the UN special envoy Nils Melzer led to more than a hundred reports of police violence at the Berlin Corona demonstrations, which, however, often refer to the same cases several times. The UN commissioner now has the task of examining any state excesses of violence and police attacks, informing the government of his conclusions and calling for clarification as well as punishment and reparation for rule violations.
On request, Melzer told the Berliner Zeitung that his team had received a very large number of reports of police violence against demonstrators at the demo on Sunday in Berlin: “We will now sift through and evaluate the material. Every single message and video needs to be carefully verified and I will also speak to direct eyewitnesses. But my impression is that in several cases there is reason enough for an official intervention on my part with the federal government. "
To this end, the UN commissioner turns to the Federal Foreign Minister through the German representation at the United Nations in Geneva. The responsible authority, in this specific case the Berlin Senator for the Interior, must then deal with the allegations through the Foreign Office and initiate the investigations required by the state treaty. Melzer is "very concerned about the development of police operations in demonstrations worldwide". This not only affects countries like Hong Kong, Belarus, Colombia and the USA with the violence against "Black Lives Matter" activists, but unfortunately also the Corona demonstrations in Europe. Melzer: “Something fundamental is going wrong. In all regions of the world, the authorities are apparently increasingly viewing their own people as an enemy. "
In all these contexts, Melzer now sees his primary task in dealing with specific incidents: “Every single case must be clarified, and thoroughly. And every clear rule violation by police officers must have severe consequences. The politically responsible must not take the incidents lightly. ”Violent actions against police officers are also unacceptable, they are crimes for which the perpetrators must be punished. Melzer: "However, isolated violence by demonstrators must in no way serve to justify police violence against other, non-violent demonstrators." The majority of the protests were not violent rioters. There were women, children, cyclists, older people. "
It is absolutely unacceptable when the police take action against defenseless demonstrators for mere administrative offenses or civil disobedience with sometimes life-threatening violence.
Nils Melzer
The police are obliged to "use proportionality in any case". Violence is only justified if a police officer or a third person is attacked directly, for example "if the authorities have to defend themselves against a masked thrower of Molotov cocktails". Melzer: "It is absolutely unacceptable when the police take action against defenseless demonstrators because of mere administrative offenses or civil disobedience with sometimes life-threatening violence." Melzer sees another problem: "The images of the demonstrations, as they are now spreading virally, are for themselves already taken a violent effect. "
Melzer: “If the police do not clearly communicate that they see themselves as friends and helpers, but rather treat their own population as an enemy, then a dangerous spiral has been set in motion: namely that the next thing is that the population will also regard the police as an enemy and on End the government. ”It is the responsibility of every government to prevent such a development through clear, de-escalating communication. Melzer: "It is also absurd to break up a demonstration with reference to health protection when demonstrators are rounded up and injured with completely arbitrary brutality."
Melzer believes it is imperative that the authorities and police use tried and tested de-escalation methods. He cites Stuttgart as an exemplary example, where police chief Carsten Höfler declared during corona protests in April that the police should never use force against peaceful demonstrators. In spring 2020, Stuttgart refrained from violently breaking up an unauthorized demonstration against the corona measures
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