Text Anfang
Dem Hass keinen Raum geben
Hass und Hetze im Netz werden immer noch als Kavaliersdelikt hingenommen. Das ist absurd. Extremisten nutzen diese Schwachstelle der Demokratie gnadenlos aus.
Hass ist ein starkes Wort. Für vieles, was tagtäglich in den
sozialen Netzwerken passiert, ist es nicht stark genug. Da wird beleidigt, gehetzt und gedroht, und manchmal schaukeln die Hassenden sich gegenseitig derart auf, dass sie sich sogar vor der Haustüre ihrer Opfer treffen.
Der unter dem Namen Drachenlord bekannte Youtuber Rainer Winkler hat sein Haus verkauft, nachdem er dort jahrelang von seinen Peinigern belagert worden war. Zuvor war er zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden – er hatte zwei von ihnen tätlich angegriffen. Die österreichische Ärztin Lisa-Maria Kellermayr geriet ins Visier von Impfgegnern. In zahllosen Nachrichten wurden sie und die Mitarbeiter ihrer Praxis über Monate hinweg mit dem Tod bedroht. Ende Juli setzte Kellermayr ihrem Leben ein Ende.
Lieber zensieren sie sich selbst
Fälle wie diese sind nur die traurige Spitze des Eisberges. Sie zeigen an, dass Hass im Netz noch immer nicht entschieden genug entgegengetreten wird. Dabei ist das dringend notwendig. Denn digitale Hassbotschaften werden schon sehr früh gefährlich. Studien zeigen, dass zwar nur wenige Nutzer persönlich von Hass im Netz betroffen sind. Aber die meisten haben schon einmal erlebt, wie andere Opfer von Hasskommentaren wurden. Viele von ihnen trauen sich deshalb nicht oder nur eingeschränkt, ihre Meinung kundzutun. Ihre Angst, Opfer von Hass und Hetze zu werden, ist zu groß. Lieber zensieren sie sich selbst.
Für eine Demokratie ist das fatal. Denn übrig bleiben am Ende nur noch diejenigen, die nicht davor zurückschrecken, anderen zu drohen, um unliebsame Meinungen zu unterdrücken – und die, deren Fell dick genug ist, um das auszuhalten. Andere Sichtweisen, andere Lebensrealitäten verschwinden so aus dem Diskurs. Und während hetzerische Beiträge im schlimmsten Fall unwidersprochen stehen bleiben, gehen die abwägenden nach und nach verloren.
Hasskommentare sind keine Gegenmeinung
Natürlich darf niemand nur Beifall erwarten, wenn er öffentlich seine Meinung äußert. Gegenwind, vielleicht auch mal ein stürmischer, gehört in einer Demokratie dazu. Hasskommentare sind aber keine Gegenmeinung. Niemand muss damit leben, beleidigt zu werden. Niemand muss Nachrichten aushalten, in denen er selbst oder die eigene Familie bedroht wird. Niemand muss es hinnehmen, wenn die Privatsphäre im Netz zerstört wird.
Hasskommentare sind Gewalt. Eine Beleidigung auf Twitter muss genauso geahndet werden wie auf der Straße, eine Drohung im E-Mail-Postfach genauso überprüft werden wie eine im Briefkasten. Dass dem häufig nicht so ist, illustrieren nicht nur Äußerungen im Fall Kellermayr. Der Ärztin wurde häufig geraten, sich lieber zurückzuhalten. Ein Polizeisprecher warf ihr gar Wichtigtuerei vor.
Zusammenhalt ist stärker
Auch deutsche Beratungsorganisationen wie Hate Aid berichten immer wieder, dass Betroffene von der Polizei nicht ernst genommen oder Verfahren von der Staatsanwaltschaft eingestellt werden. Als die Grünen-Politikerin
Renate Künast vor drei Jahren vor das Berliner Kammergericht zog, um an die Daten von Nutzern zu kommen, die sie beleidigt hatten, erlitt sie eine Niederlage. Als Politikerin müsse sie schärfere Angriffe auf ihre Person aushalten, argumentierte das Gericht. Das Bundesverfassungsgericht wies diese Argumentation im Februar zwar als „begründungslos verwendete Behauptung“ zurück. Aber wenn Politiker angefeindet werden und erst durch nervenaufreibende Verfahren zu ihrem Recht kommen, ist das abschreckend für viele, die sich eigentlich engagieren wollen.
Radikale Gruppierungen wie „Querdenker“ und andere Extremisten haben das längst als ihre Chance erkannt. Sie gehen gezielt auf Andersdenkende los, um sie mundtot zu machen. Schon 2018 hat eine Funk-Recherche gezeigt, wie vor allem in rechtsextremistischen Kreisen Hasskampagnen systematisch geplant werden. Aber auch die linksradikale Szene schreckt nicht vor Gewaltausbrüchen zurück, wenn sie auf eine in ihren Augen unliebsame Äußerung stößt.
Politik, Gesellschaft und Justiz, aber allen voran die Plattformen dürfen ihnen diesen Raum nicht überlassen. Dabei ist Feingefühl nötig. Denn wo Plattformen Posts kontrollieren und vorsorglich löschen, drohen auch zulässige Beiträge unter die Räder zu kommen. Aber schon ein fester Ansprechpartner bei Facebook und Co. könnte den von Hass und Hetze Betroffenen helfen. Darüber hinaus müssen Hilfsangebote besser finanziert und ausgebaut werden. Strafverfolgungsbehörden müssen sensibilisiert und angemessen ausgestattet werden. Und nicht zuletzt ist Solidarität mit den Opfern nötig. Als im Frühjahr über die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang ein Shitstorm hereinbrach, der sich in erster Linie gegen ihr Aussehen richtete, solidarisierten sich viele Politiker mit ihr – über Parteigrenzen hinweg. Hass mag stark sein, Zusammenhalt ist stärker.
Text Ende